Was bedeutet Resilienz und hat chronischer Stress Auswirkung darauf?

„In einer Zeit zunehmender Unsicherheit, gewinnen Dinge an Bedeutung, die zu normalen Zeiten kaum das Heben der Augenbraue wert wären.“ 1

Peter Ustinov

Aus Sicht der Psychologie / Resilienzforschung

Immer wieder begegnet uns im Alltag der Begriff Resilienz – was nun genau ist mit diesem Wort gemeint? Aus Sicht der heutigen Psychologie, wird es so beschrieben: Resilienz (von lateinisch resilire «zurückspringen» «abprallen») oder psychische Widerstandsfähigkeit (Anpassungsfähigkeit) – die Fähigkeit, Krisen zu bewältigen und sie durch Rückgriff auf persönliche und sozial vermittelte Ressourcen als Anlass für Entwicklungen zu nutzen.2

Sieben Säulen der Resilienzforschung

Es ist vollkommen menschlich, dass wir in unserem Leben immer mal wieder in Situationen kommen, welche uns herausfordern, belasten und Stress in uns verursachen. Phasen in denen wir ein Gefühl von Unsicherheit in uns wahrnehmen, Angst in uns verspüren und wir glauben: „Das schaffe ich nicht“. Oder: „Das wird sich nie ändern“ – der/die kann das, ich nicht“. Weitere Gefühle wie Trauer, Resignation bis hin zur Ohnmacht können sich dann, zusätzlich in uns breit machen – verunsichern und lähmen uns noch mehr. Dadurch verlieren wir an Handlungsspielraum. Es gibt viele Ereignisse, die dies auslösen können: Leid, Verluste, zwischenmenschliche und innere Konflikte, Trennungen, Rückschläge und weitere.

Was zeichnet dann resiliente Menschen aus? Die Resilienzforschung hebt dabei sieben Säulen beziehungsweise Faktoren hervor:3

  1. Optimismus: „Ich kann das schaffen“ – „Ich finde eine Möglichkeit“
  2. (Selbst-)Akzeptanz: „Es ist was es ist“ – „Es ist in Ordnung, dass ich das so fühle“
  3. Lösungsorientierung: „Welche Möglichkeiten stehen mir bereits zur Verfügung?“ – „Was brauche ich?“
  4. Opferrolle verlassen: „Ich wage es“
  5. Verantwortung übernehmen: „Ich stehe zu meiner Entscheidung“
  6. Netzwerk aufbauen: „Wer kann mir Unterstützung/Hilfestellung geben?“
  7. Zielorientierung/Zukunft planen: „Wo will ich als Nächstes hin?“ – „Wie komme ich dort hin?“

Sicht der Hirnforschung

Aus Sicht der Hirnforschung / Neurobiologie stellen sich die Erklärungsmodelle weitaus komplexer dar. Es gibt viele Einflüsse was ein resilientes Gehirn ausmacht. Chronischer Stress, zeigt sich jedoch dabei mitunter als ein Auslöser und hat Wirkung auf unsere Widerstandskraft.

Einflussebenen /-faktoren der Persönlichkeitsbildung

So gibt es hier unterschiedliche Ebenen/Faktoren, die auf uns und das, was wir als Persönlichkeit wahrnehmen einwirken, dies sind zum einen: Unsere Genetik (molekulare Ebene) – bereits prä- und postnatal (vor- und nachgeburtlich) vorgegeben und ein grobes Konstrukt unseres Selbst ausmachen, gleichzeitig kommen positive/negative Umwelteinflüsse hinzu.

Die Verbindungsstelle zwischen Genetik und Umwelteinflüssen, stellt hierbei die „Epigenetik“ dar – sie übersetzt die Umwelteinflüsse und wirkt somit auf die Genetik ein. Betrachtet man das Ganze als Klavier: so stellt die Genetik die »Tastatur« dar und die Epigenetik bestimmt, welche Tasten angeschlagen werden.

All das zusammen wirkt auf unser Gehirn und hat Einfluss darauf, wie sich unsere Nervenzellen ausbilden, welche Synapsen (Informationsübertragung von einer Nerven- / Sinneszelle auf die darauffolgende) sich ausformen und wie sich die »Botenstoff-Cocktails« zu einem Arrangement zusammenfügen. Darüber hinaus, wie in unserem Gehirn Netzwerke gebildet, ausgebaut werden und sich schlussendlich manifestieren.

Hierbei spielen natürlich auch, unsere direkt über die Umwelteinflüsse gemachten Lernerfahrungen eine Rolle. Es werden dabei unterschiedliche Zentren in unserem Gehirn angesprochen, welche gleichzeitig auch unterschiedliche Ebenen (Neurobiologisches Vier Ebenen Modell) unseres Seins darstellen/repräsentieren.

Psychoneurale Grundsysteme

Außerdem wird unsere Persönlichkeit durch sechs »Psychoneurale Grundsysteme« bestimmt:

  1. Realitäts- und Risikowahrnehmungssystem
  2. Impulskontrollsystem
  3. Bewertungs- und Motivationssystem – (Botenstoffe: Opiate, Dopamin)
  4. Bindungs- und Empathiesystem – (Botenstoff: Oxytocin)
  5. Selbstberuhigungssystem – (Botenstoff: Serotonin)
  6. Stressverarbeitungssystem – (Botenstoffe: Noradrenalin, Kortisol)

All das stellt ein komplexes Gefüge dar, woraus unter anderem unterschiedliche Persönlichkeitstypen definiert werden können und unserer Persönlichkeit, in mehreren Etappen, eine Identität verleihen. Die durchaus beeinflussbar ist.

Systemische Betrachtungsweise

Was können wir daraus erkennen? Wir sind Wesen – betrachtet man diese als systemisch: dann setzt sich das menschliche Dasein aus verschiedenen Systemebenen zusammen und es wird ein Gesamtorganismus dabei herausgebildet.

Wenn also unsere neuronalen Strukturen (Nervensystem) auf eine ganz bestimmte Art und Weise in Wechselwirkung miteinander treten – was schon allein demütig machen kann – entsteht in uns ein Bild, was man auch als »Innenperspektive« bezeichnet. Und uns dadurch ein bewusstes Wahrnehmen unseres Selbst ermöglicht. Die Ebene der Psyche. Welche sich aus den biologischen Strukturen herauskristallisiert und gleichsam auch, von diesen getragen wird.

Eine weitere Ebene die hinzukommt ist unsere Umwelt (chemisch, physikalisch, sozial) – auch diese wirkt auf unser Sein ein und steht im Austausch mit uns. Das was wir dadurch wahrnehmen können, ist: »Wir in einer Welt (Mikrokosmos) und eine Welt (Makrokosmos), um uns herum«. Alles ist auf diese Weise »wundersam« miteinander verbunden und gleichzeitig auch nicht getrennt voneinander zu betrachten.

Bedeutsam für die Resilienz ist, und auch wichtig zu verstehen, wie Damir del Monte sagt: »Wir sind das Alles zugleich und keine einzige Ebene kann dabei vernachlässigt werden. Möchte ich also auf der psychischen Ebene etwas verändern, dann hat das auch Auswirkung auf der molekularen Ebene und umgekehrt.«

Wunderwerk Gehirn

Unser Gehirn ist ein absolutes »Wunderwerk«, sowie unser gesamter Körper und auch unsere Natur. All das Wissen darüber, sollte uns stets, immer wieder erneut, zum Staunen anregen und uns tiefe Ehrfurcht und auch Demut empfinden lassen. Nichts von alledem kann und sollte als selbstverständlich angesehen werden. Ich möchte es einmal mit den Worten von Friedrich Nietzsche ausdrücken: „Das Leben ist wert, gelebt zu werden, sagt die Kunst, die schönste Verführerin; das Leben ist wert, erkannt zu werden, sagt die Wissenschaft.“ 4

Gehirn als Überlebensorgan

Dabei sorgt unser Gehirn für unser »Überleben« und das mit einer Effizienz und Präzision, welche einfach herausragend ist. Mit möglichst geringen Energieaufwand, für alles was uns bereits vertraut und bekannt ist. Es steuert uns in vielfacher Weise im »Autopiloten«. Gleichzeitig ist seine Funktion/Aufgabe, unser physiologisches Gleichgewicht (Homöostase) zu bewahren elementar. Es steuert, reguliert und moduliert unsere kompletten Körpervorgänge, über unser Somatisches- und Vegetatives (Autonomes) Nervensystem.

Alle eingehenden Sinnesreize (Umwelt) und Körperzustände (Interozeption/Sensomotorik) werden dem Gehirn als Botschaft vermittelt, dort verarbeitet, abgeglichen und wenn möglich adäquat darauf reagiert. Umgekehrt sendet es Impulse in unsere Körperperipherie aus. Einiges davon, nehmen wir dann in Form von Empfindungen und Emotionen wahr.

Man könnte annehmen, dass unser Gehirn bei all der Hochleistung, welches es tagtäglich vollbringt, keinerlei Interesse mehr hat »Neues« zu erfahren. Dem ist natürlich nicht so. Im Gegenteil, es ist durchaus daran interessiert, Neues und auch Unerwartetes vorgelegt zu bekommen. Genau das können wir beobachten, wenn wir einem Kind zuschauen, welches seiner Umwelt noch mit den Augen der Neugier (Forschergeist) entgegentritt. Welche Entzückung es dabei empfindet und wie wichtig, diese Erfahrungen sind, für seine Entwicklung.

Auch als Erwachsene brauchen wir solche Erfahrungen, damit wir uns stetig und autonom weiterentwickeln können. Unsere Resilienz wird hierdurch eher gestärkt, als geschwächt.

Sicherheitsgefühl und Stress

Was uns jedoch in vielen Fällen davon abhält, ist unser »Sicherheitsgefühl« – vor allem dann, wenn etwas unerwartet und plötzlich auftritt und wir im ersten Moment verunsichert sind, weil Unbekannt. Uns im Moment keine adäquate Lösung zur Verfügung steht. Gleichzeitig wir ins Wanken geraten und Instabilität in uns verspüren. Ein Gefühl von Stress, sich in uns ausbreitet.

Gehirn und Vorhersagefehler

Was geschieht dabei in unserem Gehirn? Die Hirnforschung nennt es »Prediction error« ein sogenannter Vorhersagefehler. Die im Gehirn eingehenden Sinnesreize (unter anderem auch Emotionen), durchlaufen vor allem Hirnareale, wie die »Insula« – welche auch eng mit dem »Limbischen-System« in Verbindung steht. Anteile hiervon sind unter anderem: die Amygdala (Mandelkern) und der Thalamus (Tor zum Bewusstsein).

Diese nun eingegangen Informationen, ziehen dann nach vorne, zu Arealen in unserem Gehirn, die unser Körper-, Selbsterleben und Gefühlsstatus repräsentieren und auch verarbeiten. Darüber hinaus werden diese Botschaften mit bereits vorhanden Modellen (zum Beispiel: durch zuvor gemachte Erfahrung und Sicht auf die Welt) in höheren Hirnarealen (kognitiver Ebene) abgeglichen.

Hierbei schaut unser Gehirn darauf: »Habe ich das schon einmal gemacht?« – »Hat sich das beim letzten Mal gut angefühlt?«

Beide Ebenen geben ihre Information noch an eine dritte Hirnregion weiter, welche entscheidet, wie darauf reagiert werden kann. Ist eine Lösung/Strategie möglich, fühlen wir uns stimmig (kohärent). Ist jedoch ein Vorhersagefehler aufgetreten, es entsteht Unstimmigkeit und Unsicherheit in uns und unsere dritte Instanz kann keine Lösung anbieten. Dann wird die »Stressachse« aktiviert.

Stress

Das ist jedoch keineswegs nur als negativ zu betrachten, da evolutionär unser Gehirn darauf bedacht ist, nach Lösungen/Strategien zu suchen und uns somit dazu ermutigt, die in uns existierenden Modelle zu hinterfragen. Somit können neue Erfahrungen gesammelt, beziehungsweise, auch Alte nicht mehr für uns Verwertbare ersetzt/ergänzt werden.

Durch die Aktivierung der Stressachse, wird Energie zur Lösungsfindung freigesetzt. Was auch als »akute Stressreaktion« bezeichnet wird. Diese Art von Stress dient demnach der Unsicherheitsreduktion. Und soll uns eher dazu anregen, Strategien zu finden und auszuwählen – damit unser zukünftiges physisches, mentales und soziales Wohlempfinden wieder sichergestellt werden kann.

Schädlich wird es erst dann, wenn es zu chronischem Stress kommt. Halte ich also, an meinem inneren Konstrukt (Modell) fest und mache ich womöglich auch noch meine Umwelt dafür verantwortlich, möchte diese verändern, steigt auch damit die Wahrscheinlichkeit, dass dies mit einem Verlust der Handlungsfähigkeit und Resilienz einhergeht. Somit der Stress uns gefangen hält. Unser Gefühl nach Stimmigkeit (Kohärenzgefühl) ist gefährdet.

Antriebskräfte

Wanting-System / Stresssystem

Gibt es Antriebskräfte in uns, welche unsere Resilienz fördern? Dr. Dr. Damir del Monte (Neurowissenschaftler) beschreibt es so: »Da gibt es zum einen das »Wanting-System« in uns – welches uns antreibt. Das wir vom Mögen zum Wollen kommen (Leistungssystem). Wir in Bewegung kommen, »hin« zu etwas. Wir haben das Bedürfnis nach: Wachstum, Aufbruch, Herausforderung – und ein Gefühl der Vorfreude kann sich zeigen. Es gibt Vorstellungen in uns, die wir als erstrebenswert erachten, wie unter anderem: Glück, Lust, Begierde, Abenteuer etc. Gleichzeitig tragen wir ein Ziel eine Vision in uns. Und besitzen den Glauben und das Vertrauen, es auch erreichen zu können. Ist jedoch die bereits oben erwähnte Antriebskraft, unser Stresssystem aktiviert und bleibt dieser Zustand, dann stecken wir fest.

Non-Wanting-System

Darüber hinaus gibt es noch ein weiteres, drittes System, das »Non-Wanting-System«. Hier wirken ganz andere Kräfte. Gerade für unsere Resilienz, ist dieses sehr bedeutsam. Denn nach all dem Streben nach Wachstum und Sicherheit, sorgt dieses System dafür, dass wir in uns und das, was uns umgibt, durchaus einen Sinn erkennen können. Wir ein »Wozu« erfassen können, dass unser Selbst in sich und mit der Welt verwurzelt ist. Gefühle der Verbundenheit und Geborgenheit in uns entstehen. Außerdem Demut, Empathie, Fürsorge, Dankbarkeit und Gelassenheit, um nur einige zu nennen.«

Von meiner Mutter habe ich einen Spruch geschenkt bekommen, welcher, so finde ich, dies sehr schön repräsentiert: »Familie – Ähnlich den Ästen eines Baumes, wachsen wir alle in verschiedene Richtungen, unsere Wurzeln jedoch halten uns zusammen«. Das lässt sich natürlich auch ausweiten, auf unser weiteres soziales Umfeld.

Was ist förderlich für unsere Resilienz

Hierbei können wir uns folgende Fragen stellen, die förderlich sind für unsere Resilienz und uns womöglich, ein Stück unseres Weges, weiter voranbringen:

  • Welche Ressourcen stehen mir zur Verfügung?
  • Wo möchte ich sein – Wo nicht?
  • Was sind meine Sehnsüchte?
  • Was meine Ängste?
  • Mit wem oder was fühle ich mich verbunden?
  • Wie kann ich gut für mich sorgen – um gut bei mir Selbst anzukommen?

Dabei ist wichtig, ehrlich zu sich selbst zu sein und das Bewusstsein, dass wir trotz aller Individualität die wir besitzen, einander benötigen. Damit Gesundheit und Resilienz in uns und auch als Gemeinschaft entstehen kann.

Quellenhinweise:

1 https://www.gutzitiert.de/suchen/?search=Unsicherheit

2 https://de.wikipedia.org/wiki/Resilienz_(Psychologie)

3 Der innere Garten – Autor: Michaela Huber – © Jungfermann Verlag, Paderborn 2005 – 4. Auflage 2010

4 https://www.zitate.de/autor/nietzsche%2C+friedrich?page=1

Wissensvermittlung: Lernplattform Lecturio GmbH, Dr. Dr. Damir del Monte, Dr. med. Andreas Reinert, u.a. – Basiswissen Naturwissenschaft, Anatomie und Physiologie (Teil 1) & Basiswissen: Klinik mit Untersuchungs- und Injektionstechniken (UNI-MED-HP Teil 2)  – YouTube Kanal – ENCEPHALON medicine media production GmbH

Bildnachweis:

https://pixabay.com/de/photos/olivenbaum-alter-baum-baum-ge%c3%a4st-3579922/