Warum hat der Nervus vagus so großen Einfluss auf unser Ruheempfinden und die Selbstheilungskräfte?

„Den Puls des eigenen Herzens fühlen. Ruhe im Innern, Ruhe im Äußern. Wieder Atem holen lernen, das ist es.“1

Christian Morgenstern

Nervensystem

Gliederung nach Lage

Unser Nervensystem besteht aus unterschiedlichen Anteilen, zum einen aus dem Zentralen Nervensystem (ZNS) – welches sich aus dem Gehirn und Rückenmark zusammensetzt und dem Peripheren Nervensystem (PNS) – bestehend aus: Rückenmarksnerven, Hirnnerven und Ganglien (Ansammlung von Nervenzellkernen). Diese Gliederung entspricht jedoch mehr ihrer Lage.

Unterteilung nach Funktion

Wenn man das Nervensystem (NS) nach ihrer Funktion unterteilt, spricht man hier vom Somatischen- und Autonomen NS. Es dient also unterschiedlichen Aufgaben. Wo das Somatische (vom griech. für „Körper“) Nervensystem – auch als »Animalisches NS« bezeichnet, mehr dem »Außenaspekt« (Interaktion in den Raum hinein) dient – hier geht es vor allem um die: willkürliche (bewusste) Ansteuerung der Skelettmuskulatur (Bewegung im Raum) und das bewusste Wahrnehmen der Körperperipherie – also das Erfassen von äußerlichen Reizen, welche auf den Körper einströmen, sowie die Lage des Körpers im Raum selbst. So besitzt das Autonome NS mehr die Aufgabe des »Innenaspektes«. Diese Ansteuerung verläuft weitestgehend unwillkürlich (unbewusst) ab und steuert unsere inneren Organe.

Motorische und sensible Anteile

Aufgrund unterschiedlicher Nervenfaserqualitäten kann das Autonome (Vegetative) Nervensystem noch einmal weiter unterteilt werden und zwar in motorische und sensible Anteile. Mit Motorik (viszero-motorisch) ist hier vor allem die Bewegung der glatten Muskulatur gemeint, wie man sie bei unseren Eingeweiden (Organen) vorfindet, sowie die Ansteuerung der Herzmuskulatur, Drüsen und Blutgefäße. Die Sensorik und die sensiblen Bahnen leiten ihre Impulse zum Gehirn und sind für die Signalübertragung von Reizen – von innen wie außen kommend – zuständig. Der Körper besitzt dafür, viele Rezeptoren, um diese komplexen Vorgänge bewerkstelligen zu können. Dabei arbeiten unser Nervensystem und Hormonsystem eng miteinander zusammen. Wird im weiteren Sinne, von den motorischen Anteilen gesprochen, so sind hier die autonomen (vegetativen) Anteile gemeint, wie den Sympathikus und den Parasympathikus. Der Sympathikus auch als »Kampf- und Fluchtnerv« und der Parasympathikus auch als »Ruhenerv« bekannt, wirken im engeren Sinne, gegenseitig und in Wechselwirkung zueinander.

Parasympathikus / Nervus vagus

Im Weiteren, möchte ich, jedoch mehr auf den Parasympathikus, sowie den X. Hirnnerv – auch Vagusnerv (Nervus vagus) genannt, eingehen. Da der Nervus vagus, ein gemischter Nerv ist und unterschiedliche Faserqualitäten (über 80 % sensible Anteile), wie auch parasympathische Fasern enthält, hat er zum einen große Einwirkung auf unser Ruheempfinden und auch die Selbstheilungskräfte. Der Vagusnerv hat seinen Namen erhalten, vom lateinischen Verb: „vagari“ – was so viel bedeutet wie: „umherschweifen; -streifen; vagabundieren“. Dies zeigt auf, dass er ein großes Versorgungsgebiet abdeckt und nicht wie die anderen Hirnnerven (12 an der Zahl), nur den Kopf-, Halsbereich versorgt. Sondern auch darüber hinaus den Brust- und Bauchraum miteinschließt. Eine gestörte Vagus Funktion kann sich in ganz unterschiedlichen Symptomen bemerkbar machen:

  • Verdauungsstörungen
  • Atem- und Schluckbeschwerden
  • Chronischer Stress
  • Schlafprobleme
  • Herz- und Kreislaufprobleme

Aufgrund seiner breiten Wirkungsweise ist ersichtlich, wie bedeutsam der Nervus vagus ist. Seine sensiblen Bahnen – der größere Anteil davon – leiten Informationen von den meisten inneren Organen und auch Blutgefäßen zum Gehirn (ZNS), welches diese verarbeitet und normalerweise adäquat darauf reagiert. Sowie umgekehrt, ca. 20 % der Botschaften werden unter anderem vom ZNS an den: Magen- und Darmtrakt, das Herz und weitere Organe, die Drüsen (Speicheldrüsen und die Bauchspeicheldrüsen) etc. ausgesendet. Dies bewirkt unter anderem: eine Stimulation der Darmperistaltik, die Gallenblasenentleerung wird gefördert, aber auch an der Herzfrequenz- und Blutdruckregulation ist er beteiligt. Er hat also großen Einfluss auf unseren Körper und dessen Funktion.

Ursprung und Verlauf

Seinen Ursprung hat der paarige Vagusnerv im Hirnstamm (ZNS) in vier Kerngebieten und den darauffolgenden, innerhalb und außerhalb des Schädels liegenden Ganglien (Ansammlung von Nervenzellkörper). Er verlässt an der Schädelbasis den Schädel (beidseits). Seine Nervenfasern (Bündel von Nervenfortsätzen) ziehen dann weiter in die Körperperipherie. Vor allem die parasympathischen Nervenfasern schalten in Ganglien – nahe ihrer Zielorgane liegend, noch einmal um. Durch weitere Aufzweigungsschritte zu diversen Nervenästen, -stämmen, beziehungsweise Nervengeflechten, wandern die daraus entstanden Nervenstränge (Nerv), dann entsprechend zu ihren Organen und Körperregionen und gewährleisten die Versorgung und Innervation. Ein funktionstüchtiger Vagusnerv ist aufgrund seines großen Wirkungsspektrums von herausragender Bedeutung für unseren Körper und deshalb auch für unsere Gesundheit. Er steuert zum einen: unsere Atmung, versorgt die Geschmacksknospen des Kehlkopfes, ist am Schluckprozess beteiligt, hat Einfluss auf unser Herz und die Blutgefäße, sowie die Blutdruckregulation, nimmt Einfluss auf die Leberfunktion und moduliert Verdauungsprozesse, Blutzucker und weitere Abläufe.

Funktionsbeeinträchtigungen & Schädigungen

Funktionsbeeinträchtigungen beziehungsweise Schädigungen des Vagusnervs, können innerhalb des Gehirns/Rückenmarks (ZNS), als auch in der Körperperipherie liegen. Es zeigen sich dann, ganz unterschiedliche Läsionen und Auswirkungen.

Ursachen für Beeinträchtigungen / Schädigungen

Ursachen für Schädigungen des Vagusnervs können vielfältig sein: traumatisch, infektiös, vaskulär (die Blutgefäße betreffend), aber auch Raumforderungen wie Tumore. Je nach Lage und Schädigung der entsprechenden Region – das kann im ZNS, als auch im PNS sein – zeigen sich dann, ganz unterschiedliche Symptome/Ausprägungen.

Kommt es beispielsweise im Rahmen einer Schilddrüsenoperation zu einer Schädigung des Vagusnervs in der Körperperipherie, kann dies zu Heiserkeit der Stimme führen. Sind Nerven im Bereich des Verdauungskanals betroffen, können Verdauungsstörungen die Folge sein: Durchfälle, Verstopfungen, Blähungen, bis hin zum Reizdarmsyndrom sind möglich. Damit jedoch unsere Verdauung, reibungslos ablaufen kann, benötigt es einen entspannten Zustand. Chronischer Stress wirkt sich ungünstig auf unseren Vagusnerv aus – die sogenannte »Stressachse« steigt. Gleichsam wird unser »Bauchgehirn« (Enterisches Nervensystem) vom parasympathischen System moduliert und reguliert. Die Aussage wie, beispielsweise: „Ich habe ein schlechtes Bauchgefühl“ – triggert unser »Hormon-Cocktail« (Hormonausschüttung wird, anregt) und hat Auswirkung auf unseren Vagusnerv. Hierbei wird ersichtlich, dass selbst unsere Gedanken und Glaubenssätze, auf unser Hormonsystem wirken und demnach auch, auf unser Nervensystem.

Dergleichen spielt unsere Nahrungsaufnahme eine große Rolle, schlechte Ernährungsgewohnheiten und zu schnelles Essen, können zu Funktionsbeeinträchtigungen führen. Dies kann sich wiederum, in unserem Empfinden und unserer Stimmung (Emotion) niederschlagen. Schädigungen unseres »Mikrobioms« – das so individuell ist, wie ein Fingerabdruck – durch zu viel und auf ein großes Spektrum ausgelegte Antibiotika zustande kommt, lässt unseren Vagusnerv schwächeln. Deshalb ist es wichtig, nach Antibiotikagabe, den Darm zu sanieren. In Form von »Probiotika«, und zwar der Richtigen. Damit die, für uns nützlichen, natürlich vorkommenden Bakterien »unsere Freunde« wieder entsprechend angesiedelt werden können. Die für uns Schädlichen haben somit keinen Platz und können dann auch weniger Schaden anrichten.

Infektionen / Entzündungen

Infektionen und auch Entzündungen können unseren Vagusnerv ebenfalls beschädigen, wie es unter anderem bei Long-Covid der Fall sein kann, wie ein Artikel in der PZ (Pharmazeutische Zeitung) zeigt: „Potenzielle Nervenschädigungen – Neues zu den Mechanismen hinter Long Covid“.

Einflussnahme auf den Nervus vagus

Das Schöne daran ist, wir können Einfluss auf unseren Vagusnerv nehmen. Viele (Entspannungs-) Methoden/Techniken, wie: Thai-Chi, Qigong, Atemübungen, Meditation, auch Bowtech (Bowen-Anwendungen) und weitere, wirken sich günstig aus – auf den Nervus Vagus. Bei all diesen Methoden, ist es wichtig herauszufinden, welche man selbst, für sich als angenehm und förderlich empfindet. Unser Wohlempfinden positiv beeinflusst.

In der Dezember-Ausgabe 2019 von natur & heilen, wird im Fachartikel: „Der Selbstheilungsnerv – Wirksame Hilfe zur Aktivierung des Vagus-Nervs“ eine Grundübung zur Verbesserung des sozialen Nervensystems des Körpertherapeuten Stanley Rosenberg beschrieben. Welche man leicht in den Alltag integrieren kann und keine Vorkenntnisse verlangt.

Wir können also viel selbst tun! Eine gesunde und angemessene »Selbstfürsorge« ist für unser Wohlgefühl elementar. Genauso wie gute und gesunde Lebensmittel. Am besten biologisch, angebautes Obst und Gemüse, Zufuhr genügender Ballaststoffe, Fleisch nur in Maßen und langsam Kauen (gut einspeicheln) sind wichtig. Darüber hinaus auf ausreichend Flüssigkeitszufuhr in Form von »stillen Wasser« achten – empfohlene Menge eines Erwachsenen: ca. 1,5 – 3 L/Tag je nach Körpergewicht. Außerdem das Essen wieder genießen und sich Zeit dafür zu geben. Regelmäßige und geregelte Essenszeiten sind durchaus förderlich. Am meisten machen das Zubereiten und der Verzehr in Gesellschaft Spaß! Wir stärken darüber hinaus unsere soziale Verbundenheit.

Ein Spaziergang in der Natur, bewusst wahrgenommene Stille und dem damit verbundenen Gefühl tiefer innerer Zufriedenheit, ein wohlwollendes warmes Bad, Singen und Chanten und vieles mehr, sind heilsam für uns selbst und unseren Vagusnerv. Alles, was uns dazu verhilft, in einen entspannten Zustand zu kommen. Damit aktivieren wir unseren »inneren Arzt« und die Selbstheilungskräfte können einfach wieder in Fluss kommen. Die Gesunderhaltung von Körper-Geist-Seele wird gestärkt!

Quellenhinweise:

1 https://gutezitate.com/zitat/115105

Bildnachweis:

https://pixabay.com/de/illustrations/nervenzellen-neuronen-2213009/